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Chronik der Seemannskapelle |
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Sonntag, 1. Oktober 1950, Erntedank
Einige junge Männer aus Hillmicke saßen in der Gastwirtschaft Valpertz vor einem der neuartigen Geräte, in die man Münzgeld einwerfen musste, um Musik hören zu können. Zu dieser Zeit ein Wunder der Technik! Zu den jungen Hillmickern gesellte sich Karl Nebeling, ein Mann in mittleren Jahren, der zwar in Elben geboren war, damals aber in Wendenerhütte wohnte und aktives Mitglied im Musikverein Gerlingen war. Er hörte die Marschmusik aus der Box und meinte trocken: „Wat die kunn, kunn mej ok.“ (Was die können, können wir auch.) Das wollte ihm zunächst niemand glauben. Deshalb ließ Karl Nebeling die jungen Leute abwechselnd auf seiner Trompete blasen, die er zufällig dabei hatte, und begann, die Probanden aufgrund ihrer Lippenstellung verschiedenen Instrumenten zuzuordnen. Das Ergebnis muss so durchschlagend gewesen sein, dass man sofort beschloss, einen Musikverein zu gründen. Als Gründer des Vereins gelten seitdem die damals anwesenden: Karl Nebeling, Rudi Bensch, Heinz Ledwig, Robert Schneider und Rudi Stracke, von denen einige ja noch heute engagiert am Musikvereinleben teilnehmen. Aus musikalischen Laien sollten Musiker werden, und so spendeten die Hillmicker und die Bewohner der „Fürstentümer der Bins“ – Büchen, Schwarzbruch, Huppen und Bebbingen - Geld für die Anschaffung von Musikinstrumenten. Alles musste erlernt werden. Selbst während der gemeinsamen Arbeit im Walzwerk Gerlingen versuchte Karl Nebeling Rudi Stracke mit Hilfe einer „Tafel“ aus Schwarzblech die Grundbegriffe des Notenlesens beizubringen. Eine solche „Blechtafel“ stand dann schon nach wenigen Tagen auch in der Gastwirtschaft Valpertz, wo Nebeling den interessierten Männern aus Hillmicke die wichtigsten Kenntnisse vermittelte. Dort und bei „Bensches“ in der ehemaligen Poststube fanden die Zusammenkünfte der Gründer, die Beratungsgespräche und die weiteren Planungen statt. Als Aufnahmegebühr in den Musikverein legte man für aktive Musiker DM 10,- und für Passive DM 1,- fest. Die erste Sammlung im Dorf erbrachte DM 300,-. Damit konnte man eine geringe Anzahlung für 11 Musikinstrumente bei einer Musikalienhandlung in Bergneustadt leisten, die aufgrund des guten Leumundszeugnisses über Heinz Ledwig dieser Gruppe von Idealisten einen Kredit gewährte. Inzwischen hatte man auch einen ordentlichen Verein gegründet mit Heinz Ledwig als Vereinsvorsitzendem, Rudi Bensch als Kassierer und Robert Schneider als Schriftführer. Zunächst fanden drei mal wöchentlich (!!!) Proben in der Gaststätte Valpertz statt, aber natürlich musste jeder der angehenden Musiker auch zuhause üben. Und so drangen in den Abendstunden fast täglich eigenartige Töne aus einigen Häusern (und aus „Henneses“ Kuhstall), die von den ersten Gehversuchen als Musiker zeugten. Die Hauptprobe war am Sonntagmorgen nach dem Hochamt. Hierbei waren meist interessierte Hillmicker als Zuhörer anwesend, die mit „fachkundigen“ Kommentaren für Heiterkeit sorgten. Der anschließende Frühschoppen endete oft erst am späten Nachmittag. Schon in der Heiligen Nacht 1950 überraschten die Musiker die Bewohner des Dorfes mit ihrem ersten öffentlichen Auftritt: 5 junge Männer stiegen mit ihren Instrumenten über Leitern in den Glockenstuhl im Kirchturm und spielten dort nervös und aufgeregt Weihnachtslieder. Die Hillmicker waren gerührt. Dieser Auftritt überzeugte auch viele Skeptiker und erhöhte die Akzeptanz des Musikvereins im Ort erheblich. Im Frühjahr 1951 starteten die Musiker erneut Sammelaktionen in Hillmicke und auf der „Bins“ und begleiteten diese mit musikalischen Darbietungen. Auch im „Brüner Lager“ spielten die jungen Musiker und waren überrascht von der freundlichen Aufnahme ihrer Vorträge und dem Sammelergebnis unter den Menschen, die ihrer Heimat beraubt waren und sich nur mit viel Mühe im „Wendschen“ integrieren konnten. Der Auftritt der Musiker im „Lager“ wurde von den dort untergebrachten Flüchtlingen und Vertriebenen dankbar aufgenommen. Langsam aber stetig arbeitete sich der Musikverein voran. Man spielte mal in Nosbach zum Tanz auf, dann eine Fronleichnamsprozession im eigenen Dorf, man gestaltete das Stiftungsfest auf dem alten Schützenplatz und gab in Schönau in der Gastwirtschaft Wurm ein Konzert mit anschließender Tanzmusik. Der Musikverein war nun in das dörfliche Leben integriert. Er spielte zu allen kirchlichen Anlässen wie Fronleichnam, Weißer Sonntag und beim Osterfeuer auf. Außerdem brachte er Ständchen zu Goldenen Hochzeiten und Achtzigsten Geburtstagen. Nach intensiven Proben und mit viel Mut gaben die Musiker am 2.Ostertag 1952 im Saal des Vereinslokal Valpertz ein Konzert, zu dem auch die Vorstände der Nachbarvereine kamen. Das Konzert war gut besucht. Die Hillmicker waren begeistert und die Vorstände der auswärtigen Vereine äußerten sich wohlwollend und anerkennend. Man befand sich augenscheinlich auf dem richtigen Weg. Zu diesem wichtigen Anlass trug man dann auch zum ersten Mal die Uniformen, die die Musiker im Februar 1952 bekommen hatten: blaugefärbte Jacken, wohl aus amerikanischen Armeebeständen, auf den Schultern „Schwalbennester“. Die Hose war von jedem selbst zu bezahlen; sie kostete DM 9,50. Zum ersten Mal zur Blasmusik marschiert ist man dann am Schützenfestsonntag, als der Musikverein die Brüner Schützen unterhalb der Ortschaft „mit Musik“ abholte. Ein Ziel des Musikvereins musste es aber natürlich sein, bei Schützenfesten aufzuspielen und dazu bedurfte es konsequenter Vorbereitung. Erste Voraussetzung hierfür war die regelmäßige Teilnahme an Proben. Allerdings mußte auch das Marschieren und gleichzeitige Musizieren intensiv geübt werden. Die Übungsstunden hierfür fanden auf der damals noch wenig befahrenen L 512 Richtung Brün statt. Dass Karl Nebeling oft „abreißen“ musste, lag nicht nur an den Schlaglöchern in der Straße.... Am 6. Juli 1953 war es dann soweit: Der Musikverein Hillmicke spielte beim Schützenfest in Brün auf! Der Erfolg der musikalischen Gestaltung des Schützenfestes ließ einige der Musiker übermütig werden. Über das sich anschließende Ereignis las man dann in der “Westfalenpost“: Kühles Bad nach heißer Schlacht Fast bis zum Morgen hatte man in einem Ort des westlichen Kreisgebietes Schützenfest gefeiert. Die Musikkapelle hatte tüchtig aufgespielt und war dabei selbst in Stimmung gekommen. So sehr in Stimmung gekommen, dass ... Und lesen Sie: Auf dem Heimweg machten die wackeren Musiker Zwischenstation und sprachen den „kühlen Blonden“ eifrig zu. Die Stimmung stieg so hoch, dass sie beängstigende Formen annahm und einen verwegenen Plan reifen ließ. Durch zwei der treuesten ihrer Mitglieder hatte die Kapelle einen Namen bekommen, der ihre Wasserfestigkeit bekundete. Diese Wasserfestigkeit wollte man beweisen und - ein Bad nehmen. Zwar waren die Voraussetzungen dafür wenig günstig. Aber das machte den „wetterfesten Männern“, wie man sie bei der Festansprache am Vortag genannt hatte, nichts aus. Ihnen genügte die Stimmung und der Umstand, dass die Bigge mit wenigen Schritten zu erreichen war. Sie verließen gemeinsam die Wirtschaft. Auch der Wirt schloss sich ihnen an und folgte den Badelustigen wie ein Teddybär in Großformat. In voller Uniform ging es dann hinein in das kühle Nass, das von vielen mit zündenden Worten gepriesen wurde. So zündend, dass die Fenster der umliegenden Häuser hell wurden und zahlreiche Schaulustige im Nachthemd oder im Schlafanzug sichtbar wurden. Die trauten ihren Augen nicht, als sie die zehn bis fünfzehn Musiker mit hochgekrempelten Hosenbeinen durch die Biege marschieren sahen. Das älteste Mitglied hatte der im „Wassersport“ erfahrenste „Seebär“ auf den Rücken genommen und versuchte, es – wie weiland St. Christopherus – durch das Wasser zu tragen. Doch ohne Erfolg: Er glitt aus auf einem glatten Stein und tauchte mit seiner wichtigen Last für einen Augenblick unter.- Bis zum Montagabend soll allen Musikern – und zwar nicht auf dem Wasserwege – die Heimfahrt geglückt sein. Na, wir wollen hoffen...“ Es zeugt von dem Humor der Musiker, dass nach diesem Vorfall der Name „Seemannskapelle“ endgültig als der offizielle Name des Musikverein Hillmicke gewählt wurde. Unter der Stabführung von Karl Nebeling entwickelte sich der Verein innerhalb weniger Jahre zu einer über die nähere Umgebung hinaus anerkannten Blaskapelle. Man diente sich hoch, musizierte z.B. bei Waldfesten, beim Karnevalszug in Wenden, bei Betriebsfeiern und bei Winterfeiern von Vereinen. Durch Preisschießen und Wunschkonzerte versuchte man, die finanzielle Lage zu festigen. Der eigentliche Durchbruch der Seemannskapelle Hillmicke, ihre Etablierung innerhalb der Musikvereine des Kreises Olpe und darüber hinaus, erfolgte in den Jahren 1958/59. In dieser Zeit konnte man die musikalische Gestaltung der Schützenfeste in Dahl, Frenkhausen und Neuenkleusheim übernehmen. Die musikalische Gestaltung von Schützenfesten ist bis heute das wichtigste Standbein des Musikvereins geblieben, wenngleich auch hierbei natürlich eine Weiterentwicklung in Art und Qualität der Musik festzustellen ist. Genauso bedeutsam, wenn auch weit weniger einträglich, ist für die Seemannskapelle aus Hillmicke die Verbundenheit zu ihrem Dorf geblieben. Viele der kirchlichen Feiertage und dörflichen Feste wären ohne die musikalische Untermalung durch den Musikverein kaum denkbar. Mit der Einführung von Konzerten wagte die Seemannskapelle sich dann auf neues Terrain, was sowohl die Literatur als auch das Niveau der Musikvorträge betraf. Auch hier musste man jedoch erst Erfahrungen sammeln. So gab man zunächst äußerst wenige Konzerte, um sich ganz auf die Schützenfeste zu konzentrieren. Dann nahm der Musikverein quasi probeweise an verschiedenen Wertungsspielen teil, für die die jeweils erforderlichen Pflichtstücke den Musikern förmlich eingehämmert wurden. Da hierunter jedoch die Qualität des restlichen Repertoires (und der Spaß an der Sache) litt, kam man überein, diesen Weg nicht weiter zu verfolgen. Stattdessen engagierte der Musikverein mehr Energie und Zeit in die Gestaltung von eigenen Konzerten und zeigte hierbei bemerkenswerte Qualitäten. Als Höhepunkt in dieser Reihe kann mit Sicherheit das Jubiläumskonzert diesen Jahres in der Aula der Konrad-Adenauer-Schule in Wenden angesehen werden, bei dem einmal mehr der musikalische Funke der Begeisterung von den Musikern auf das Publikum übersprang. Dazu trug auch das gereifte musikalische Niveau der Musiker bei, an dem in den zurückliegenden 50 Jahren unter den wechselnden Dirigenten ja stets gefeilt worden war. Von Karl Nebeling übernahm 1967 Herbert Weise für viele Jahre den Taktstock, bis er 1990 von Bruno Stracke abgelöst wurde, der wiederum 1995 die Leitung an Peter Stracke übergab. Auch die Investition in die Ausbildung der Nachwuchsmusiker macht sich eindeutig „bezahlt“. Viele von ihnen sind inzwischen echte Leistungsträger geworden, so dass die Bedeutung der Nachwuchsförderung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang sicherlich auch, dass aus den Reihen des Musikvereins sogar einige Berufsmusiker hervorgingen. Sie und viele derjenigen, die Hillmicke aus beruflichen Gründen inzwischen verlassen haben, fühlen sich dem Musikverein aber immer noch eng verbunden und versuchen, wann immer es möglich ist, an Proben und Auftritten teilzunehmen. Glücklicherweise erkannte man schon früh, dass nicht nur das gemeinsame Musizieren verbindet. So werden immer wieder Tagesausflüge in die nähere Umgebung unternommen, zu denen auch die passiven Mitglieder eingeladen sind. Zusätzlich organisiert der Musikverein seit 1965 regelmäßig gemeinsame Reisen, bei denen die Musiker mit ihren Familien Gelegenheit haben, sich von den Anstrengungen der Auftritte zu erholen, zu feiern und neue Pläne für die Zukunft zu schmieden. Als Reiseziele wurden ausgesucht:
1965: Berchtesgaden Viele persönliche Erlebnisse markieren den Weg eines jeden Hillmicker Musikers und rufen ganz eigene Erinnerungen wach. Einige Geschehnisse waren jedoch besonders für den gesamten Verein einschneidend: Noch im Frühling des Jahres 1975 hatte man das 25-jährige Bestehen des Musikvereins im Rahmen eines großen Musikfestes gefeiert, an dem zahlreiche Gastvereine aus dem Kreis Olpe und das Heeresmusikkorps Düsseldorf mitwirkten. Umso härter traf alle der Brand des Vereinslokals Valpertz im Herbst desselben Jahres, bei dem der Musikverein große Verluste an Instrumenten und Notenmaterial hinnehmen musste. Einige der Musiker versuchten noch aus dem brennenden Gebäude zu retten, was sie tragen konnten. Davon zeugen unübersehbare Brandspuren an vielen Notenexemplaren, die auch heute noch in Gebrauch sind und der Brandgeruch, der ihnen - nach Aussage einiger Musiker - immer noch anhaften soll. Beim Wiederaufbau des Lokals zeigte sich dann, dass man auch an die Seemannskapelle denken wollte und plante einen Proberaum, der nur zur Nutzung für den Musikverein bestimmt war. Bisher hatte man sich mit dem „großen Saal“ des Lokals, der für Veranstaltungen gemietet werden konnte, behelfen müssen und nun hatte man endlich einen „eigenen Raum“, in dem auch Instrumente und Notenmaterial gelagert werden konnte. Viele Mitglieder der SeeMANNskapelle werden sich wohl auch an ein anderes „Ereignis“ erinnern: Traten doch ernste Meinungsverschiedenheiten auf, als 1976 die ersten SeeFRAUEN, bzw. -mädchen um Einlass in den Musikverein baten, der ja bis dahin fest in männlicher Hand gewesen war. Man tat sich schwer mit einer Entscheidung und es wird von heftigen Diskussionen in den Vorstandssitzungen berichtet, bis dann doch nach einer Abstimmung den Mädchen der Beitritt gestattet wurde. Dass sich diese Entscheidung -trotz einiger Anfangsschwierigkeiten- als die absolut richtige herausstellte, überrascht wohl nur die echten Skeptiker. Inzwischen haben sich die Frauen ausgezeichnet etabliert und das nicht nur im Holzbläserregister, das sich (bis auf einige wenige Ausnahmen) fast komplett in Frauenhand befindet, sondern mittlerweile auch in der „Männerbastion“, dem Blechbläserregister, das ja mitunter als „uneinnehmbar“ galt. Hierfür musste zwar erst eine „zugereiste“ Trompeterin Schützenhilfe leisten, aber erfreulicherweise befinden sich nun tatsächlich auch einige Mädchen in Ausbildung für Trompete und Horn. Bis die erste Schlagzeugerin in den Musikverein eintritt, kann es ja eigentlich nur noch eine Frage der Zeit sein... Besonders gefreut hat sich der Musikverein über ein ihm gestiftetes Denkmal, das von der Interessengemeinschaft Wendenerhütte am Ufer der Bigge am 2. Juni diesen Jahres errichtet wurde und an die legendäre Biggedurchquerung der ersten Musiker 1953 erinnert. Am 3. August 1992 marschierte die Seemannskapelle mit Marschmusik von dieser Stelle erneut durch die Bigge, um auch dem Nachwuchs die Gelegenheit zu einer echten Seemannstaufe zu geben. Ganz stilecht tauchte auch diesmal einer der Musiker unfreiwillig ab! Rückblickend kann festgestellt werden, dass trotz des musikalischen Ehrgeizes niemals die Kameradschaft der Musiker und die Freude am Musizieren vergessen wurde. Dass diese Freude auch weiterhin zu spüren ist, wünscht sich und seinem Publikum der Musikverein Hillmicke für die Zukunft. |